Stevia boomt: Die aus der Pflanze gewonnenen Süssstoffe sind bis zu 300 mal süsser als Zucker und fördern weder Diabetes noch Karies. Softdrinks, Schokolade, Bonbons – ständig kommen neue Produkte auf den Markt, welche mit Steviolglycosiden aus der Steviapflanze gesüsst sind; Coca-Cola Life ist nur das bekannteste. Die Pflanze, die die Guaraní im Grenzgebiet von Brasilien und Paraguay seit Jahrhunderten nutzen, erobert als gesunde Zuckeralternative den Lebensmittelmarkt. Was für eine Erfolgsgeschichte! Tatsächlich?
Mit dem Bericht «Der bittersüsse Geschmack von Stevia» hat Public Eye (ehem. Erklärung von Bern) die bitteren Seiten des Geschäfts mit dem süssen Stoff aufgedeckt: Die Kommerzialisierung von Stevia ist ein klassischer Fall von Biopiraterie.
Die indigenen Guaraní –die Kaiowa aus Brasilien und die Paî Tavyterâ aus Paraguay – nutzen die Pflanze Stevia, die sie Ka’a he’ê („süsses Kraut“) nennen, seit über 1500 Jahren – zur Süssung ihres Matés, als Heilpflanze oder bei heiligen Zeremonien. Ihr traditionelles Wissen ist die Grundlage der Stevia-Kommerzialisierung. Und damit hätten sie Anrecht auf eine faire Beteiligung am Gewinn, der durch die Kommerzialisierung von Stevia erzielt wird.
Die UNO-Biodiversitätskonvention und das Nagoya-Protokoll verlangen nämlich, dass traditionelle Gemeinden einer kommerziellen Nutzung ihrer Ressourcen und ihres traditionellen Wissens zustimmen müssen und am Geschäft damit gerecht beteiligt werden. Doch während Nahrungsmittelfirmen mit „Stevia“-Produkten ein immer grösseres Geschäft machen, ist das Leben der Guaraní geprägt von Diskriminierung, Verarmung und Vertreibung von ihrem Land.
Die paraguayanischen Pai Tavytera und die Kaiowa aus Brasilien sind zwar durch familiäre Beziehungen miteinander verbunden, aber durch die Landesgrenze getrennt führen sie normalerweise keine gemeinsamen politischen Aktionen durch. Nun aber haben sie sich versammelt, um zu diskutieren, wie sie ihr Recht geltend machen können: Das Recht auf eine gerechte und ausgewogene Beteiligung am Profit aus der Kommerzialisierung ihres Wissens zu Stevia.
Die Forderung nach Land
Die Guaraní wollen nicht mehr länger dulden, dass Coca Cola, Pepsi oder Nestea mit „ihrer“ Pflanze Profit machen, während sie verarmen und von ihren Ländereien vertrieben werden. Sie zeigen sich entschlossen, ihre Rechte als Trägerinnen und Träger des traditionellen Wissens über die Stevia-Pflanze geltend zu machen – und ihr Stück am süssen Kuchen einzufordern.
Eigentlich hätten die Guaraní gemäss der UNO-Biodiversitätskonvention und des Nagoya-Protokolls ihr Einverständnis zur kommerziellen Nutzung ihres Wissens zu Stevia geben müssen. Doch sie wissen, dass sie die riesigen Landwirtschafts- und Nahrungsmittelkonzerne nicht mehr daran hindern können, Stevia zu kommerzialisieren. Dafür ist es zu spät.
Aber sie erwarten zumindest eine Entschädigung – und zwar am liebsten in Form von Land. Sie wollen im Falle einer Vereinbarung einen Teil des Stevia-Ursprungsgebiets zurückerhalten.
Die Erklärung
Als erstes Ergebnis der Grossversammlung halten die Guaraní in einer gemeinsamen Deklaration fest:
Die Guaraní fordern in ihrer Erklärung grundsätzlich die Respektierung ihrer Gebiete, ihrer Weltanschauung, ihrer Autonomie und ihrer Autoritäten. Und spezifisch eine „ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung unseres traditionellen Wissens zu Stevia ergeben“. Darüber hinaus beschliessen sie, eine ständige Versammlung einzurichten, um den Prozess weiter zu verfolgen.
Ein erster Schritt ist getan. Doch trotz ihrer in der UNO-Biodiversitätskonvention und dem Nagoya-Protokoll zugesicherten Rechte liegt noch ein weiter Weg vor den Guaraní. Das Ziel ist es, dass sie in einem Jahr konkrete Verhandlungen mit Konzernen über eine faire Entschädigung und Gewinnbeteiligung aufnehmen können.
Public Eye hat nach der Publikation des Stevia-Berichts Gespräche mit den Hauptproduzenten und -verwendern von Stevia-basierten Süssstoffen, den Steviolglykosiden, gesucht. Manche Zeichen sind ermutigend: Einige Firmen schweigen zwar und andere zögern, aber mehrere Unternehmen zeigen sich bereit, im Rahmen von Verhandlungen mit den Guaraní gemäss Biodiversitäskonvention auf eine gerechte und ausgewogene Aufteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung von Stevia ergeben, hinzuarbeiten.
Die Basler Firma Evolva etwa, die Migros und auch Nestlé bekennen sich klar zum Prinzip des Vorteilsausgleich, wie der eben erschienen Follow-Up-Bericht zeigt. Andere Firmen – Coca Cola etwa– haben die Fragen von Public Eye nicht beantwortet.
Unterschreiben Sie jetzt!
Auch Sie können die Guaraní im Kampf um ihre Rechte unterstützen!
Es kann nicht sein, dass Coca-Cola mit seinem Coke-Life Gewinn macht und sich schlicht und einfach darum foutiert, die Guaraní, die die Süsse von Stevia erkannt haben, zu beteiligen. Grosskonzerne, die mit Stevia-basierten Süssstoffen Gewinn machen, verletzen die Rechte der Guaraní. Zusammen mit SomeOfUs haben wir deshalb eine Petition lanciert, mit der wir Coca-Cola auffordern, den Trägern des traditionellen Wissens über die Stevia-Pflanze eine faire Vereinbarung auszuhandeln.
Indem Sie die Petition unterschreiben, helfen Sie mit, dass aus diesem klassischen Fall von Biopiraterie ein Beispiel für einen fairen Deal wird.
Public Eye (ehem. Erklärung von Bern) tritt für jene Menschen ein, deren Rechte durch die wirtschaftlichen Tätigkeiten von Schweizer Akteuren bedroht sind.
Gemeinsam können wir mehr erreichen. Folgen Sie uns auf Twitter und Facebook, abonnieren Sie unseren Newsletter oder werden Sie Mitglied von Public Eye.